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Beitrag vom 14.09.2015
Nerina Pallot - The Sound And The Fury
Clarissa Lempp
Der Start der Songwriterin in das Musikbusiness war eher holprig, später lief es ihr dann zu glatt. Jetzt kehrt sie mit einem Kaleidoskop an Songs zurück, das durch seine bunte Vielfalt begeistert.
Ihr neues Album "The Sound And The Fury" bezeichnet Nerina Pallot als ihr Midlife-Crisis-Album. Elf Lieder versammelt sie darauf, drei davon bisher unveröffentlicht, acht erschienen bereits als EPs. Das Album ist also irgendwie auch eine Neuordnung der Dinge.Ausschlaggebend waren aber die drei unveröffentlichten Songs, die 2013 entstanden. Darunter der Opener "There Is A Drum" und das sphärische "The Longest Memory", das auf dem Album als finaler Track zu hören ist. Ein Jahr später, also 2014, war Nerina Pallot auf Tour. Die drei Lieder warteten in der Schublade und sie läutete das Jahr der EPs ein. Jeden Monat veröffentlichte sie einen Song, wie das leichtfüßige "Rosseau", in dem sie über gezupften Gitarren die zwei wohl bekanntesten Namensträger verquickt - den Naturforscher und Aufklärer Jean Jacques und den träumenden Maler Henri.
Jetzt führten Pallot und ihr Produzent und Ehemann Andy Chatterley die Songs aus den beiden Jahren zusammen. Eine gute Idee. "The Sound And The Fury" ist ein fulminantes Sammelsurium an starken Stücken, das Nerina Pallots Vielfältigkeit auf den Punkt bringt. Aus der Serie von 2014 stammen auch der rotzige Gitarrensong "If I had A Girl", der als tanzbare feministische Polemik zu verstehen ist und das technoide Drama "Boy On The Bus". Im fragilen "The Handle" entfaltet sich Pallots Stimme ebenso wie im darauf folgenden bluesigen "Spirit Walks" auf Gänsehaut-Niveau. Mit "Blessed" und "Big White House" deckt sie die Balladen-Fraktion mal im rauchig-warmen R´n´B-Beat, mal mit zuckersüßer Country-Stimmung ab.
Der dritte bisher unveröffentlichte Song auf "The Sound And The Fury" ist "The Road". Er ist durch den gleichnamigen, dystopischen Roman von Cormac McCarthy und den Ereignissen um den Tod Margret Thatchers inspiriert. Ein verzerrter, irgendwie wütender Beat, flirrende Schnipsel einer arabischen Flöte und ein schleppender, fast sprechender Gesang erzeugen darin eine hypnotische Kraft. "No, he walks this road alone", heißt es im Refrain und obwohl Pallot sich zunächst nur auf den Romanhelden von McCarthy bezog, erkannte ein anderer das politische Potential. Der Regisseur Damian Weilers fragte den Song für seine Dokumentation über die Situation von Refugees (Flüchtlinge) in Calais an.
Nerina Pallot, deren indische Mutter in den 1960er Jahren selbst immigrierte, sagte zu und machte das Film-Material gleich zum offiziellen Video.
AVIVA-Tipp: Es macht Spaß Nerina Pallots musikalischer Entfaltung beizuwohnen. Ein überraschend abwechslungsreiches Balladen- und Power-Spektakel, das gekonnt mit den Musikgenres spielt.
Nerina Pallot
The Sound And The Fury
Label: Idaho/INgrooves/Rough Trade
VÖ: 11.09.2015
www.nerinapallot.com
Das Video zu "The Road" und ein Statement von Nerina Pallot gibt es bei youtube zu sehen.
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